Kennen wir uns irgendwoher?

Ich lehne mich zurück und schaue dem kleinen Jungen, der auf meinem Schoß sitzt in die Augen. Seit gefühlten 5 Minuten schaut er mich mit offenem Mund und riesengroßen Augen an, als ob er gerade einen Außerirdischen sieht.

Schlagloch in Kolwezi
Gäbe es einen Preis für das größte Schlagloch, dann würde ihn das hier sicherlich gewinnen…

Wir sind 19 Leute in einem umgebauten Minivan, der ursprünglich wohl für knapp 9 Personen gedacht war. Ich muss lächeln und zwinkere ihm zu. Dass man angestarrt wird passiert einem im Kongo eigentlich dauernd. Als Weißer falle ich hier mehr auf als ein bunter Hund. Auf der Straße wird man stets mit „Mzungu“ (swahili für „Weißer“) angesprochen und von jedem begrüßt. Alle wollen dich kennenlernen.

Im November bin ich von einem Okapi-Radioreporter auf einem Fest interviewt worden. Daraufhin hat er mich sogar zur  „Tribune d’honneur“ eingeladen, wo er mich eine Stunde lang über Europa, mich und meine Arbeit im Kongo ausgefragt hat. Im Nachhinein erst stellte ich  fest, dass das Medium Radio in Kolwezi wesentlich populärer ist als das Fernsehen. Seitdem werde ich regelmäßig von wildfremden Leuten auf der Straße beim Namen genannt.

Zu Besuch bei Radio RCL
Zu Besuch bei Radio RCL (im Bild rechts: Nono Kisandi)
Bon appétit - Gekochte Larven gefällig?
Bon appétit – Gekochte Larven gefällig?

Zwischen Medizin und Exorzismus

Ich sitze auf einem dieser Plastik-Gartenstühle vor dem Disziplinarbüro der Schule und schreibe gerade eine SMS. Da marschiert eine Gruppe aufgehetzter Schüler über den Hauptplatz, in ihrer Mitte tragen sie eine ohnmächtige Schülerin. Sie legen sie auf den Fußboden in der Mitte des Büros. Die Schülerin ist nicht ansprechbar, atmet schwer und ihr Puls rast. Sie hat Schweißausbrüche und selbst durch ihre geschlossenen Lider sieht man, dass ihre Augen wild umher kreisen. Von Zeit zu Zeit richtet sie sich ruckartig auf und reißt die Augen auf, nur um kurz darauf wieder ohnmächtig zu werden. Ich tippe auf einen epileptischen Anfall und lege sie entsprechend gleich in die stabile Seitenlage. Doch meine Lehrerkollegen meinen: „Schnell, holt den Père, der soll beten!“

Ich protestiere, sie müsse sofort ins Krankenhaus. Ernüchternd muss ich feststellen, dass es allerdings keinen Krankenwagen gibt.

Als sie dann einige Zeit später doch im Krankenhaus liegt und die Ärzte nichts finden lautet die Diagnose: Böse Geister.

Tags darauf forsche ich ein bisschen nach und bemerke vier Dinge:

  • Die allermeisten Kongolesen glauben tatsächlich an böse Geister
  • Ohnmächtige Schüler gibt es an der École alle paar Wochen
  • Kompliziertere Operationen als beispielsweise Blinddarmentzündungen werden im Kongo nicht durchgeführt. Die entsprechenden Patienten sterben also, wenn sie sich eine Ausreise nach bsp. Südafrika nicht leisten können
  • Es gibt kein funktionierendes Krankentransportsystem. Erkrankungen oder Unfälle, die schneller Behandlung bedürfen (Herzinfarkt, Schlaganfall, Schlangenbiss) verlaufen meist tödlich

Die traditionelle Behandlung von Krankheiten durch alte Bräuche wird der Schulmedizin oftmals vorgezogen. So berichtete mir ein FSJ-Kollege in Tansania von einem anschaulichen Vorfall. Eine Frau erlitt auf offener Straße einen epileptischen Anfall. Daraufhin haute eine ältere Dame mit einem Stock auf die Frau ein, um ihr den Teufel auszutreiben.

Hoffentlich erwischt‘s mich nicht 😉

Ich Häuptling, du Präsident

Wir sitzen zu dritt auf einer Boxer Bajaj CC100, einem alten 125-cm³-Motorrad, und rattern durch Kolwezis Vororte. Ab und zu müssen wir absteigen, weil die Sandstraße unpassierbar ist. Es ist Mittag und die heiße Sonne brennt mir aufs Gesicht. Wir passieren Bananenstauden, Ananasfelder und dazwischen einige Bauern, die mit ihren Hacken Termitenhügel zerhauen. Nach Kazembe sind es zwar nur 7 Kilometer, dennoch benötigen wir dafür gut 30 Minuten.

Letzte Woche noch erzählt mir Joel Makonga, ein 10-Klässler der École St. Charles Lwanga, dass sein Vater Häuptling ist. Natürlich frage ich gleich ob ich ihn besuchen könnte um ein paar Eindrücke zu gewinnen. „Für den Rapport, den ich nach Europa schicke. Ich könnte ja auch deinen Namen zitieren“, sage ich und zwinkere ihm zu.

„Bienvenue à Kazembe“, meint unser Motorradfahrer und grinst. Ich drücke ihm 3.000 Francs in die Hand und lasse mir noch seine Handynummer für die Rückfahrt geben, dann zieht er ab. Joel führt mich durch sein Heimatdorf Kazembe. Es besteht hauptsächlich aus kleinen Häuschen, die noch die belgischen Kolonisatoren 1942 hinterlassen haben. Sein Vater, Chef Kazembe, begrüßt mich und bittet mich in sein Haus. Aus dem Gespräch mit ihm entnehme ich unter anderem, dass es im Kongo offensichtlich zwei wesentlich unterschiedliche Systeme gibt. Die einen leben wie ganz normale Staatsbürger und die anderen stellen ihren jeweiligen Häuptling über den Präsidenten der Republik. Da der Staat bei ihnen so gut wie nicht präsent ist, wird dies durch den Häuptling ersetzt. Er hat unbegrenzte Befugnisse und niemanden, der ihn absetzen kann. Ihm gehören das gesamte Dorf, alle Felder, Häuser und Frauen. Nur er darf das Eherecht und Baurecht vergeben. Er bildet Judikative, Legislative und Exekutive in einem. Das hat er seinen übernatürlichen Fähigkeiten zu verdanken. „Je suis un saint“, sagt Chef Kazembe.

Dann führt er mich zu einem großen Baum in der Dorfmitte, der von einer Bambuswand umringt wird. Wir ziehen uns die Schuhe aus bevor wir näher kommen. Chef Kazembe murmelt einige Worte und streicht mit seinem Daumen Kreide auf die Rinde. Dann erklärt er, dass er damit Kontakt zu den Ahnen aufnehmen kann.

Später möchte mir Joel sein Dorf zeigen. Die Grundschule, das Krankenhaus, das Tribunal. Alles einfache Gebäude, kaum größer als eine Garage in Deutschland. Vor dem Gefängnis sitzt eine Frau und stillt ein Kind. Ich grüße sie freundlich aber sie nickt nur stumm zurück. Ich bin überrascht als wir eintreten. Es ist dunkel, die Wände sind schwarz angestrichen und Schlingpflanzen bahnen sich ihren Weg zu den wenigen Fenstern. Ein Mann döst auf einem Pappkarton vor sich hin. Ansonsten ist das Gebäude leer. „Ist das der einzige Gefangene?“, frage ich Joel. Der antwortet: „Die andere hast du doch eben gegrüßt.“

Die Gefängnistüren sind, soweit vorhanden, nicht abgeschlossen. Warum sie nicht abhauen? Joel antwortet nur verständnislos: „Wo sollen sie denn hin?“

Als ich an diesem Abend in meinem Bett liege glaube ich es zu verstehen. Für die meisten Afrikaner ist soziale Einbindung in die Gesellschaft ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens. Die beiden Inhaftierten wurden von Chef Kazembe für einen Monat verurteilt, da sie eine Affaire hatten. Sollten sie diese Strafe nicht absetzen, würden sie von der Dorfgemeinschaft verstoßen werden. Dadurch wären sie praktisch ihrer Existenzgrundlage beraubt.

Chef Kazembe in traditioneller Kleidung
Chef Kazembe in traditioneller Kleidung

IMAG1592

Dorf Kazembe
Dorf Kazembe
Gefängnis in Kazembe
Gefängnis in Kazembe
Blick in die Minen
Blick in die Minen

Strasse in Kolwezi

Kinder

Auf dem Weg nach Kazembe

Klassenausflug mit dem landwirtschaftlichen Zweig
Klassenausflug…
Klassenausflug mit dem landwirtschaftlichen Zweig
…mit dem landwirtschaftlichen Schulzweig

Von Korruption und Disziplin

07:00 Uhr. Rund 600 Schüler stehen in Reih und Glied auf dem Hauptplatz der St. Charles Lwanga école secondaire. Sie singen die Nationalhymne während die kongolesische Flagge hochgezogen wird. Wer zu spät kommt bleibt draußen vor dem Schultor. Die Schüler sind unglaublich diszipliniert. Ich komme ins Klassenzimmer und sofort stehen alle auf um mich im Chor zu begrüßen. Sie setzen sich erst, wenn ich sie dazu auffordere. Im Unterricht ist es leider ein bisschen lauter. Aber das ist bei einer Klassenstärke von bis zu 60 Schülern nicht verwunderlich.

Hauptplatz
Hauptplatz des St. Charles Lwanga Instituts

Klasse

Letzten Freitag, den 20.09.13, sind wir endlich in der Demokratischen Republik Kongo angekommen. Unseren ursprünglich auf 03.09.13 angesetzten Flug mussten wir zwei mal verschieben, da wir Probleme mit den Visa (und dem sehr kompetenten Herren Peter in der kongolesischen Botschaft in Daressalam 😀 ) hatten.

In der Schule gefällt es mir ausgezeichnet. Ich bin Lehrer für Englisch und Informatik für die 9. – 11. Klassen. Die Arbeit fordert mich und auch mit dem Französisch klappt es jeden Tag spürbar besser. Leider ist die Ausstattung schwach. Die Schule teilt sich den Strom mit den Nebengebäuden.  Also haben wir nur jeden zweiten Tag Strom. Und selbst dann fällt er mindestens alle 4 Stunden aus. Wenn es regnet, dann hallt es unter dem Wellblechdach manchmal so laut wider, dass ich den Unterricht pausieren muss.

In Deutschland habe ich einmal einen Kongolesen gefragt, auf welcher Straßenseite man im Kongo fährt. Der antwortete damals: „Kommt drauf an wo die Schlaglöcher sind, mal links, mal rechts“. Ich habe gelacht. Jetzt weiß ich, dass das kein Scherz war. Die „Straßen“ sind nicht asphaltiert und haben alle 10m so große Schlaglöcher, dass ein Auto darin verschwinden könnte. Manche bauen ihre Häuser da rein. Es gibt es kaum motorisierten Verkehr. Man fährt in der Stadt öfters mal einige Minuten bis mal ein Jeep oder ein Motorrad entgegenkommt.

Im Kongo haben 54% der Menschen keinen Zugang zu fließendem Wasser. Das Trinkwasser ist oft trüb und muss stets abgekocht werden. Zum Klospülen nehme ich einen Eimer Regenwasser her. Zum Duschen auch, dann erwärme ich das Wasser manchmal über dem Feuer. Wenn man abends durch Kolwezi fährt begegnet man regelmäßig Regierungssoldaten, die Straßenblockaden errichtet haben. Dann schmieren wir 1.500 Francs ( ≈ 1,50€) damit sie uns durchlassen. Korruption ist hier selbstverständlich.

Als ich letzte Woche zum Markt spaziert bin begegnete ich einem spielenden 4-jährigen Knirps. Als er mich sah erschrak er und rannte weinend zu seiner Mutter. Ich bin der einzige Weiße hier weit und breit.

Frauen beim Waschen
Frauen beim Waschen

Sonnenuntergang

Bald beginnt die Regenzeit
Vorboten der Regenzeit
Minenarbeit in Kolwezi
Minenarbeit in Kolwezi

Kinder Beim Fußballspielen

Marktplatz
Marktplatz
Hauptstraße
Hauptstraße in Diur, Kolwezi

„Mimi naitwa Gabriel. Na wewe je?“

Da sitzt er also in seiner Pfütze und schaut trotzig zu mir hoch. Er denkt gar nicht daran sich zu bewegen. Ich wollte mich gerade duschen. Aber mein Vorhaben scheitert an einem Frosch der es sich in unserer Dusche gemütlich gemacht hat. Man gewöhnt sich an viele Dinge in Tansania.

Mein Aufenthalt in der „ELCT Language and Orientation School“ neigt sich dem Ende zu. Nächsten Mittwoch verlassen wir Morogoro. Und am 03. September geht es dann endlich weiter in die D.R. Kongo zu meiner Arbeitsstelle, der St. Charles Lwanga Sekundarschule.

Die letzten 4 Wochen haben wir alle unglaublich viel erlebt. Der tägliche Kiswahili-Sprachkurs hat mich ein bisschen an meine Schulzeit erinnert. Doch im Gegensatz dazu war er ausgesprochen lehrreich 😉 Jetzt beherrsche ich die Grundzüge der Sprache und ich denke mit ein bisschen Übung werde ich auch in der Lage sein ein Gespräch einigermaßen anständig führen zu können.

Einen Tag vor meinem 18ten Geburtstag kam eine kleine hinterhältige Malaria-Mücke auf den Gedanken mich zu küssen. Entsprechend fieberte ich doppelt auf meine Volljährigkeit hin. Und doch möchte ich mich an dieser Stelle für den wunderschönen Tag bedanken, den mir meine FSJ-Kollegen geschenkt haben.

Jeep nach Morogoro Massai-Markt Mikumi National Park Fußball als tägliches Ritual Unterwegs Hauptstrasse Die kleinen Freunde Safari-Schnappschuss Safari-Schnappschuss 2 Safari-Schnappschuss 3 Kochbananen - salzig! Kiswahili Sprachkurs

„Eine Reise von tausend Meilen beginnt mit dem ersten Schritt.“

Departure: Frankfurt, 29.07.2013 , 22:05 Uhr. So steht es auf dem Electronic Ticket, dass mich in einer Woche nach Tansania bringen wird.

Nächsten Montag geht es dann also los: Mein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) in Afrika.

Wenn alles so läuft wie es geplant ist, verbringe ich die ersten 4 Wochen in Tansania um die Landessprache Swahili zu lernen. Anschließend beginnt mein eigentlicher Einsatz in der Demokratischen Republik Kongo – in der Stadt Kolwezi. Dort werde ich in der St. Charles Lwanga Sekundarschule arbeiten.

Democratic_Republic_of_the_Congo_on_the_globe_(Africa_centered)

Mit diesem Blog möchte ich euch – meine Familie, meine Freunde, Interessenten und alle, die meinen Einsatz unterstützen  – von meinen Erlebnissen berichten.